Also, ähm, ich fürchte, oh man, ich mach mich mal wieder unbeliebt, aber…

…ich bin wohl eher nicht Charlie – Jetzt isses raus, auch wenn ich damit wieder, wie mit der Forderung nach dem Katzenessen, in die unbeliebte Gruppe einsortiere. Um es klar zu stellen: Natürlich bin ich nicht für die Erschießung von Menschen, die ihre Arbeit und ihre Grundrechte ausüben. Aber nun wurde ja gerade nicht ich erschossen, sondern andere Leute. Andere Leute, mit denen ich nicht viel gemeinsam habe. Erstens bin ich nicht so mutig: Wenn schon mal jemand, wegen meiner Kernbeschäftigung, mit Brandbomben nach mir geworfen hätte, so wie ja 2011 in den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo bereits geschehen, ich würde von der in dieser Form sanktionierten Tätigkeit Abstand nehmen und mich einem anderen Betätigungsfeld zuwenden, wohl sogar Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen. Also eher, wenn überhaupt: J’adore Charlie! Il est très courageux! Darüber hinaus hätte ich aber auch keine große Freude an der Verunglimpfung des Propheten. Grundsätzlich befürworte und praktiziere ich politisch unkorrekte und zynische Witze (in einem meiner Lieblingswitze geht es beispielsweise um einen kleinen Jungen, der von einem Pädophilen im Wald ermordet wird), aber nur, wenn es sich lohnt, d.h., die Witze gut sind. Das Lustigkeits-/Gefühlsverletzungsverhältnis muss zugunsten der Lustigkeit ausschlagen. Eine Mohammed-Karikatur, die dieses Kriterium erfüllte, ist mir noch nicht begegnet. Also: Charlie, nous avons un sens d’humour différent! (Aber natürlich solltet Ihr deswegen nicht erschossen werden, ich sags lieber noch mal). Aber wen interessiert das und es passt auch nicht auf so ein Schild.

Und, da jetzt der Ruf bereits unumkehrbar ruiniert ist, ein paar weitere, möglicherweise unpopuläre, Annmerkungen. Ich habe mir gestern teilweise die Liveübertragung des Trauermarsches aus Paris angeschaut und hatte ein ungutes Gefühl dabei. Die Kommentatorinnen sprachen die ganze Zeit davon, dass die Demonstrierenden so wunderbar ihre „Solidarität“ zum Ausdruck brächten. Das schien eine gute – und wohl nicht selbstverständliche, sonst wäre es ja nicht bemerkt worden – Angelegenheit gewesen zu sein. Ich hingegen fragte mich die ganze Zeit: Ist das nicht selbstverständlich? Dass wir mit Leuten, die einfach so, während sie friedlich ihrer Arbeit nachgehen, mit Maschinengewehren erschossen werden, solidarisch sind? Naja, es kommt schon immer sehr darauf an, wer da gerade erschossen wird, woher die Leute kommen und warum, auch die Hautfarbe scheint manchmal ein bisschen Einfluss darauf zu haben, ob sich jemand an ungerechtfertigten Ermordungen stört oder nicht, aber so im Grundsatz, so dachte ich, herrschte da ein umfassender Konsens. Gegen „Terrorismus“ zu sein und zu demonstrieren ist darüber hinaus auch tautologisch. Gewalt, die für sinnvoll befunden wird, nennt man begriffsnotwendig nicht Terrorismus (sondern, je nach Umstand: „Befreiungskampf“, Selbstverteidigung etc.). Vielleicht bin ich ja streng und kaltherzig, aber während ich mir die Übertragung und ihre Kommentierung so anschaute, dachte ich bei mir: Frankreich, warum so aufgeregt? So sehr überraschend kommt das alles nicht.

Unser linksrheinischer Nachbar hat bekanntlich nicht nur die viel bessere Esskultur und unterhaltsamere Philosophen aufzuweisen, sondern auch ein weit größeres Problem mit der „Integration“ (davon reden alle politisch unkorrekterweise immer noch – Es müsste „Inklusion“ heißen, ungebildetes Pack!) von (insbesondere) jungen Menschen mit Migrationshintergrund als beispielsweise Deutschland. Das hat zum einen etwas mit der viel höheren Jugendarbeitslosigkeit zu tun, aber auch andere Ursachen. (Allerdings, so nebenbei, gut zuhören, CSU, keine sprachlichen, alle auch noch so schlecht integrierten jungen französischen Muslime sprechen zu Hause in der Familie, lupenreines Französisch). Das führt, neben anderen Ursachen zu einem, man muss es leider so sagen, vor allem unter französischen Muslimen weit verbreiteten und tiefsitzenden Antisemitismus, der zunehmend auch in extremer Gewalt seinen Ausdruck findet. Das ist nicht erst seit dem siebten Januar so, das ist schon lange so (und wurde auch nicht von der Systempresse verheimlicht). Die Zahl der Juden, die von Frankreich nach Israel migrierten, hat sich im vergangenen Jahr von 3.500 auf 7.000 verdoppelt, und das nicht, weil die Situation im gelobten Land sich in letzter Zeit so angenehm entspannt hat. Alleine die Tatsache, dass sich jüdische Leute in Europa nicht mehr sicher fühlen, sollte für meinen Geschmack zu Massenprotesten führen. Wenn Europa von irgendwas genug hatte, dann jawohl von Judenverfolgung und -vernichtung, dass das überhaupt noch gesagt werden muss. Also steckt Euch Euer „Ich bin Charlie“ an den Hut. Das gilt auch für die, wie ich finde, relativ verlogene Teilnahme der europäischen und sonstigen Regierungsvertreter an der gestrigen Prozession. Ihr seid alle nicht solidarisch, nehmen wir als Beispiel die EU: Höchst unsolidarisch befördert die von der deutschen Regierung vorangetriebene Austeritätspolitik unserer Regierung die sozialen Krisen in den südeuropäischen Ländern. Verarmung der Mittelschichten und (Massen)jugendarbeitslosigkeit sind unter anderem die Folgen. Da kann Angela Merkel auf dem Foto mit Herrn Hollande noch so niedlich-traurig verträumt daher schauen, solidarisch wird ihre Politik davon nicht.

Ulrich Wickert hat gestern bei Günter Jauch gesagt: Es ist nicht die Religion, welche die jungen Menschen gewalttätig macht, es ist die Sozialisation. Von dieser eigentlichen Selbstverständlichkeit sollten wir ausgehen und anfangen herauszufinden, wie wir wirklich solidarisch sein können.

 

Bildvon VaterCharlie, der Kampf geht weiter: Ein höchstens mittelguter Witz über Alkoholmissbrauch

6 Kommentare zu “Also, ähm, ich fürchte, oh man, ich mach mich mal wieder unbeliebt, aber…

  1. poah, gutes und kontroverses posting mal wieder.
    bei den meisten punkten bin ich selbstredend d’accord.
    aber an einer stelle wird’s mir ein bisschen zu schwammig: wenn juden gegen moslems in stellung gebracht werden. da muss man, finde ich, schon sehr präzise sein um missverständnissen vorzubeugen. die berge von heimischen antisemiten, die gerade noch jeden montag mit aluhüten über die markplätze flanierten oder auch bei linken demos die hamas toller als „die zionisten“ fanden, sind z.b. meist top integriert/inkludiert.
    maik sucht sich als erklärungsmodell und ventil gerne den anti-islamismus, bei malik fällt diese option schonmal weg.
    die mechanismen sind überall mehr oder wenig deckungsgleich, die auswahl an diskriminierungsgruppen ist unterschiedlich. es gibt ja auch schwule antisemiten und homophobe juden.
    aber ja: antisemitismus ist in islamien scheisse weit verbreitet.
    vielleicht u.a. auch mangels persönlicher kontakte, in saudi-arabien z.b. gibt’s wohl keine grössere jüdische community.
    ausserdem: der „held von paris“ hat im jüdischen supermarkt gearbeitet und bei der geiselnahme gerade im keller gen mekka gebetet.
    geht doch.

    • Dafür ist „Malik“ ein weit schönerer Name als „Maik“ 🙂
      Dein Unwohlsein kann ich nachvollziehen. Die Schwammigkeit ist aber, finde ich, ein bisschen dem Format geschuldet. Da so ein Blogeintrag nicht so lang werden darf, ich aber viel „Meinung“ und „Argument“ unterbringen will, muss ich Kompromisse eingehen.

      Ich meine zu wissen, kann mich aber auch täuschen, dass der Antisemitismus in Frankreich sich sehr grundlegend von dem deutschen unterscheidet. Frankreich hat ja, im Unterschied zu Deutschland, noch ziemlich viele Juden (auch wenn es sich im zweiten Weltkrieg auch nicht immer mit Ruhm bekleckert hat). Die Franzosen sind in der Frage auch nicht ganz so schuldbewusst wie wir (zu Recht, macht die Resultate aber auch nicht besser). Und ich glaube, dass Antisemitismus (und daraus folgende Übergriffe) in Frankreich viel verbreiteter sind als bei uns, und sich eben mehr bei Menschen vorkommen, die unter anderem auch von muslimischer Kultur geprägt sind. Ich mag mich da irren. Ich habe es so plakativ, Du magst es als Zwietracht stiftend empfinden, hingeschrieben, weil nicht darüber hinweggesehen werden sollte, weil ich es als einen Ausdruck von gesellschaftlicher Spaltung empfinde. Die Ursache wiederum für den behaupteten Unterschied sehe ich ja nicht (kultur)rassistisch in den Personen begründet, sondern in den Sozialisationen.

      • ich hab mal gelesen, dass in den frühtagen der volkszählungen die deutschen die juden nicht so recht mitzählen wollten weil’s nicht in’s deutsche konzept von „nation“ passte. trotz sprache, geburtsort und ein paar dutzend eben in deutschland lebender vorfahr-generationen.
        in frankreich hingegen verstand man das problem der deutschen nicht, natürlich wären das franzosen, auch wenn sie eine art mittelalterliches deutsch (oder spanisch) sprächen. schliesslich würden sie ja in frankreich wohnen.

      • Ja, die Franzosen haben das bessere (republikanische) Staats(bürgerInnen)verständnis. Die sind einfach nicht so Nazi wir wir, was ihre Geisteshaltungen anbelangt. Aber irgendwie hilfts ja nix.

  2. Lieber Onkel, Pro-Alkohol klingt schon einmal nach einem guten Ansatz, hilft aber der Integration von Muslimen, die ja nicht trinken, nicht weiter.
    Ja, auch von den Franzosen können wir uns integrationsthematisch keine Scheibe abschneiden, aber du kannst nun auch nicht damit argumentieren, dass der Terror nicht plötzlich auftritt, sondern sich Schrittweise hochschaukelt. Ein Feuer hier, ein Feuer da, es braucht halt ein paar Tragödien, bis die Staatschef_innen sich in den Flieger setzen und die Menschen auf die Straße gehen. Das Problem ist in der Tat, dass sich alle grad eingestehen müssen, dass Fremdenfreundlichkeit und Haititaiti nicht so einfach funktioniert, wie man nach 2 Flaschen Wein glauben mag. Was dafür umso besser funktioniert, ist dieser Tage seine Kamerapräsenz und die eigene Prominenz zu steigern, indem man ein Schild hochhält oder hochläd. Ich mache es selbst, aber zugegeben auch deswegen, weil ich schon bei der Ice Buckett Challange Anti war, dieses Jahr wollte ich mal zustimmender angehen… ich überdenke diesen Vorsatz tatsächlich grade.

    Ich finde aber schon, und das sehr bestimmt, dass man bei Jauch mal das Licht ausmachen sollte. Das würde mir gut tut, was mit der Welt ist, ist mir dann auch so egal, wie allen anderen.

  3. Also, bei den Anti-Jauch Pöblerinnen und Pöblern bin ich ja wirklich immer ganz vorne mit dabei, ganz schlimm, wofür der sich hergibt, gerade weil er die Position des aufgeklärten „Lehrers der Nation“ innehat und dabei doch oft strunzdoof daher kommt und eine, wie ich finde, antiaufklärerische Sendung macht.

    Und Du findest also, dass meine Argumentation „Ihr hattet vorher schon so viel Terror, jetzt heult nicht“ ein bisschen schwächelt? Ja, das kann mensch sicher so sagen. Mich stört nur einfach sehr die Ungleichgewichtigkeit der, ich nenne es mal „Ungleichwert“. Während die Charlie Hebdo-Redakteure ermordet wurden, sind sicher gerade genauso viele Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken, weil die EU keinen Bock auf Seenot-Rettung hat. Da weint irgendwie keiner. Das erzürnt mich. Und eben dieses: „Die Franzosen sind solidarisch“ – Das ist ein zutiefst gespaltenes Land, ich fürchte, das wirds auch bleiben.

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