Es war wieder schrecklich und wieder hätte ich es vorher wissen müssen. Aber ich wollte ja unbedingt nach „Afrika“. Gelohnt hat es sich am Ende dann doch:
Mit der Idee eines Abstechers nach Marokko hatte ich von Anfang geliebäugelt, schließlich dauert die Überfahrt mit der Fähre von Tarifa nach Tanger nur 35 Minuten. Aber nach Tarifa kommt man nicht so einfach und schön ist es da auch nicht. So hatte ich den Plan aus Zeitgründen und durchaus enttäuscht wieder aufgegeben. Um so begeisterter stellte ich dann fest, dass man von Sevilla aus eine Tagestour nach Tanger buchen kann, und schlug begeistert zu, ohne darüber nachzudenken, wie so ein Ausflug sich wohl konkret gestalten würde.
Die Fahrt im Minibus von Sevilla nach Tarifa verlief noch ausgesprochen vergnüglich. Unsere Reisegruppe, vier woke Frauen, eine Mutter mit erwachsener Tochter aus Kanada, eine Frau aus Kalifornien und ich machen unserem Fahrer „Louismi“ (von Louis-Miguel) die Hölle heiß, als er uns erklären will, wie das war, als Columbus Amerika „entdeckte“. Mit den Worten „You are describing a grifter.“ beendet meine neue kalifornische Freundin endgültig die verzweifelten Versuche von Louismi, doch noch etwas Anerkennung für Columbus‘ Leistungen in uns hervorzurufen.
Auf der Fähre gehen die Probleme dann aber los. Aus der erhofften lauschigen Überfahrt wird nix. Fünf Minuten, nachdem wir abgelegt haben, sagen sie durch, dass das Betreten des Oberdecks wegen heftigen Seegangs untersagt ist und dazu blaue Kotztüten aus Plastik ausgeteilt. Und, hui, schwankt das Schiffchen. Ich mache die Augen zu und stütze mich vorgebeugt auf meinen Rucksack ab, das klappt gut. Als ich einmal kurz die Augen aufmache, sehe ich wie eine Frau in eine blaue Tüte kotzt. Mir wird nicht schlecht, aber eine Dreiviertelstunde heftig schwankendes Boot strengt an. Nach ausführlicher Passkontrolle werden wir dann am Hafen von Tanger von unserem Reiseführer, Rachid, in Empfang genommen und mit weiteren Tagestouristen aus Marbella zu einer ca. 20köpfigen Reisegruppe zusammengefügt. Rachid wird sich, das sei vorweggenommen, als das eigentliche Highlight des Ausflugs herausstellen. Eine angenehme, und bis auf, dass ihm die obere rechte Hälfte der Zähne fehlt, gepflegte Erscheinung mit grauem Bart sowie Kaftan und von heitererem Naturell. Keckernd-krächzend lacht er so enthusiastisch über seine eigenen Witze (nicht ganz zu Unrecht, die Witze sind nicht schlecht), dass es ansteckend ist. Ich bin nicht die einzige, die nicht anders kann als fröhlich mitzukichern.
Auf drei Sprachen (insgesamt beherrsche er zehn Sprachen teilt er uns mit, was nicht schwer sei, man müsse nur jeden Tag zweieinhalb Kilo Haschisch rauchen) informiert Rachid uns über die Stationen der Tour: Stadtrundfahrt, Kamelreiten, Herkulesgrotten, Mittagessen, Stadtführung, danach Freizeit und Abreise. „Kamelreiten?!?“ ich hoffe, ich habe mich verhört. Unser kleiner Bus macht sich auf den Weg, Tanger entlang, Kühe und Schafe auf grünem Küstenstreifen, weite Strände, Vororte mit weißen Villen, die saudi arabische Botschaft. Wir halten am Straßenrand, wo ein paar Kamele herumliegen. Wer will, kann für zwei Euro einmal aufsitzen und fünfzig Meter reiten. Nichts würde ich weniger wollen. Ich möchte schon sehr ungern auch nur dabei zuschauen, wie andere das machen. Ich kenne mich mit Kamelen und was die mögen nicht aus, aber ich stelle mir nicht schön vor, wenn ständig fremde Leute auf einen heraufsteigen und dann wieder herab. Ein Kamel leistet dann auch Widerstand. Als der junge Mann, neben dem ich im Bus kurz saß, aufsitzen will, lässt es sich einfach zur Seite fallen und dann noch zwei Mal. Ich gucke erschrocken zu und hoffe, dass das Kamel keinen Ärger bekommt. Der Kamelführer holt tatsächlich einen Stock hervor, bringt ihn aber nicht zum Einsatz. „Oh Mann, Maike, kaum bist Du zehn Minuten in Marokko, schon wird fast ein Tier gehauen“, denke ich traurig und nehme mir vor, nie wieder unfreundlich zu einem zu sein (ein paar Stunden später werde ich davon schon wieder Abstand nehmen müssen, um ein paar Tauben von meinem Café-Tisch zu verscheuchen. Tja.)
Es geht zurück in den Bus, nächste Station „Herkulesgrotten“, wieder schrecklich. Ich verzichte auf einen Bericht. Mir wird langsam klar, dass ich halt eine preiswerte Tagestour mit Führung gebucht habe und dass solche Dinge dann passieren. Irgendwie habe ich in meiner Vorfreude darauf, eine Fußspitze auf den afrikanischen Kontinent zu setzen, vollumfänglich vergessen, was ungefähr die Realität ist. Naja. Ich verzeihe mir und vielleicht erinnere ich mich daran ja, wenn ich das nächste Mal eine Reise buche, vor lauter Vorfreude die Wirklichkeit nicht komplett auszublenden.
Es geht zurück nach Tanger-Innenstadt, wir laufen durch ein, zwei Straßenmärkte, nicht schön, aber ich habe in Europa schon heruntergekommenere gesehen, ein bisschen durch die Stadt zum Mittagessen. In einem Restaurant „Traditional Cuisine“ und „Traditional Music“ gibt es eine kleine Suppe und Couscous, für Leute, die kein Fleisch wollen, sogar nur mit Gemüse, lecker. Unsere Reisegruppe, einige Engländer aus Marbella, dazu noch ein paar Spanier*innen und natürlich meine drei Ladies aus Sevilla, sitzen recht eng aneinander gequetscht, mit leicht desorientier Miene, um einen tiefen Tisch und scheinen sich auch nach dem tieferen Sinn des Ganzen zu fragen. Ich werde direkt neben zwei Herren mit Geige platziert, die für die „Musique Folklorique“ zuständig sind. Sie sitzen auf ihren Hockern, das Instrument auf die Knie gestellt und erzeugen Musik, auf die meine westlich sozialisierten Ohren eher nicht so gut vorbereitet sind. Ich hadere wiederum mit meinem Schicksal, aber vor allem mit mir. Das hätte ich erwarten können. Jetzt ist mein Leben halt so für den Moment (sehr laut).
Dann geht es weiter, Stadtführung, Altstadt und Neustadt (wenn ich das richtig verstanden hab. Die Erinnerung ist verschwommen). Auf und Ab durch die engen Gassen. Dem flinken Rachid hinterher hecheln (Kommentar aus Kalifornien: „He’s a fast little Man!“, „He is like a lizard, isn’t he?“ sollte Louismi, der ihn anscheinend auch schonmal erlebt hat, später auf der Heimfahrt sagen). Wir kommen an einer Moschee und einer Synagoge vorbei. In kleinen, zur Straße offenen Räumen sitzen Männer, die dem einen oder anderen Handwerk nachgehen, Geschäfte, an manchen Punkten Händler, die sehr energisch versuchen, uns Souvenirs zu verkaufen. Die vorherrschende Farbe ist schmuddelig weiß. Tanger ist, zumindest da, wo ich vorbei komme, nicht so schön. Aber das hat wohl auch noch nie wer behauptet. Wir halten, um eine Weberei zu „besichtigen“. Ein junger Mann sitzt an einem Webstuhl, ein anderer erklärt kurz, dass hier Stoffe gewebt, verarbeitet und natürlich – gut für uns – auch verkauft werden. Aber die Leute wollen auch alle was kaufen, ich hab keine Ahnung, aber die Sachen sehen zumindest schön bunt aus. Ich will ja immer nie was kaufen. Andere Leute sind da offensichtlich anders.
Rachid macht derweil Witzchen darüber, dass er von dem Stoffladen eine Kommission bekomme und außerdem, dass er aussehe wie Shah Rukh Khan. Ich kichere fröhlich und meine Reisekollegin aus Kanada fragt interessiert, ob mir Shah Rukh Khan ein Begriff sei. Ich antworte, durchaus, zwar möge ich keine Bollywood-Filme, aber dass Shah Rukh Khan ein ausgewiesen schöner Mann sei, könne man ihm ja deswegen nicht absprechen. Sie erzählt mir, dass sie in Guyana aufgewachsen sei, bis sie dann mit Anfang zwanzig nach Kanada ausgewandert sei. Und in Guyana war so wenig los, dass sie in ihrer Jugendzeit viel Zeit mit Bollywood-Filmen verbracht habe. Ich finde das interessant. Ich weiß noch nicht mal, wo Guyana ist. Aber Shah Rukh Khan kennen wir alle, die Frau aus Guyana, der Mann aus Marokko und ich, eine Kartoffel.
Nächster Stopp ein Geschäft mit marokkanischen Ölen, Kosmetik und Verkaufspräsentation. Ich bin glücklich, einfach rumsitzen zu dürfen, starre erleichtert in die Gegend und schmiere brav drei verschiedene Öle auf mein Handgelenk. Wiederum kaufen meine Reisegenossen eifrig irgendwelches Zeug, vielleicht ist es ja auch gut, wer weiß? Dann ist die Stadtführung beendet, wir haben jetzt noch eine Stunde Zeit zur eigenen Verfügung. Ich schließe mich Rachid und meinen Frauen aus Sevilla an, die sich auf den Weg in ein weiteres Geschäft (Silberware?) machen. An der Tür zum Laden treffe ich eine weiß-getigerte Katze, die sich freut, mich kennenzulernen und auf meinen Arm kommt. Ein schöner Abschluss der Ladentour. Insgesamt hat Tanger viele Katzen, teilweise struppig und angeschmuddelt, jedoch allesamt wohlgenährt, da will ich mich nicht beschweren („Warum gibts in Marokko so viele Katzen? – Weil Marokko nicht China ist.“).
Meine letzte halbe Stunde in Tanger verbringe ich in einem Straßencafé in der Fußgängerzone, wo es jetzt auch nicht so anders aussieht als in der Kölner Schildergasse. Aber was hab ich auch erwartet? Dann geht es zurück aufs Schiff, das Wetter hat sich entspannt und die Überfahrt verläuft ruhig. In Tarifa holt uns Louismi am Hafen ab und begrüßt uns mit „Welcome in Europe“. Als ich dann Abends um elf zurück im Hotel bin, trinke ich zur Entspannung in der Bar zwei, drei mehr Bier als sich am nächsten Morgen als vernünftig herausstellen wird. Es war schon anstrengend, gelohnt hat es sich aber doch.