So besser nicht, Martin Kind!

Während der Feiertage habe ich mich geärgert. Über den Umgang bei Hannover 96 mit Mirko Slomka. Wer sich für Fußball interessiert, weiß, dass der Verein gerade ziemlich aus der Erfolgsspur geschliddert ist. Wer sich nicht für Fußball interessiert – Danke fürs bis hier her lesen – etwas Geduld – gleich kommt Gesellschaftskritik – die ist für alle interessant (und ein bisschen lustig auch).

Ein paar Argumente sprechen dafür, dass Herr Slomka seinen Teil zur Krise beitrug, vgl. zum Beispiel das Fachmagazin Kicker, welches zu ausgewogenen Urteilen neigt. Ich glaube ein weiteres Problem besteht darin, dass der Verein Jörg Schmadtke nicht adäquat ersetzen konnte. Und, oh je, für dessen Weggang könnte wiederum Mirko Slomka mitursächlich gewesen sein.

Aber das rechtfertigt meines Erachtens nicht den jämmerlichen Umgang in den letzten Wochen. Ohne die Beurlaubung bereits verkündet zu haben, fingen Präsident und Sportdirektor öffentlich an, einen Nachfolger zu suchen. Bislang erfolglos – Thomas Schaaf zum Beispiel hat abgelehnt. Dieser integere Herr würde in so einem Saftladen wohl auch nicht arbeiten wollen. Den Gipfel der bizarren Würdelosigkeit erklomm Präsident Kind, als er im NDR verkündete (möge es stimmen, ich habs nicht selbst gehört, nur gelesen), die Chancen für Slomka stünden 60 zu 40. So geht mensch mit Menschen nicht um. Besonders betrüblich ist die Sache aus mehreren Gründen:

Zunächst hat Mirko Slomka sich um Hannover 96 sehr verdient gemacht: In der Krisensituation nach Robert Enkes Selbstmord stabilisierte er die Mannschaft und rettete sie vor dem Abstieg. In der anschließenden Saison ließ er die Mannschaft attraktiven (Hatte man das in Hannover überhaupt schon mal erlebt – Ach ja, unter Ralf Rangnick) Umschalt-Konterfußball spielen und erreichte direkt den Europacup. In der Saison, die darauf folgte, wiederholte er das nicht nur, sondern erreichte gleichzeitig das Halbfinale im Europapokal. So viel Erfolg und internationales Flair kennt die Hannover-Person eigentlich überhaupt nicht. Sechsundneunzig ist eher die dröge graue Maus des Bundesligazirkus – Ist ja nicht schlimm, wird auch gebraucht. Sinnbildlich hierfür ist der Umstand, dass bis zur  Ära Slomka nur ein einziges Mal (Saison 92/93) der Europapokal erreicht werden konnte. Als Gegner der ersten Runde wurde Werder Bremen ausgelost (traurig!), gegen die man natürlich sofort ausschied (ebenso traurig, hat aber niemanden überrascht).

Was unter Mirko Slomka erreicht wurde, war also wirklich glorreich. Meines Erachtens war aber auch abzusehen, dass die Mannschaft hierfür über ihrem nominellen Leistungsvermögen arbeiten musste (nicht zu vergessen das überdurchschnittliche Scouting) und früher oder später wieder etwas zurückfallen würde (wie ja in der letzten Saison mit Platz neun ja auch geschehen). Wohl etwas naiv, nahm ich an, dass dies, von den überdrehten Kölnern hätte ich sowas nicht erwartet, den maßvollen protestantischen Langweilern von der Leine auch klar wäre. Tatsächlich klafften Anspruch und Wirklichkeit (so schreibt es auch Spiegel-Online) auseinander und Europa wurde wieder als Ziel verkündet, obwohl die Konkurrenz stark ist. Auch  bezüglich Infrastruktur und Etat liegt Hannover im Mittelfeld (Saison 13/14: Platz 10, vgl. RP-Online).  Naja, und überzogene Ansprüche zu stellen, lohnt sich meistens nicht, sondern führt eher in die Frustration, würde ich Krämerinnenseele zumindest vermuten.

Ganz abgesehen davon, dass Trainerentlassungen statistisch gesehen (Hab ich keine Quelle – Wird einfach steil behauptet und für diese Saison stimmt es wohl: Siehe HSV, Nürnberg), nichts bringen, was ist daran so problematisch?

Um Mirko Slomka persönlich sorge ich mich nicht sehr, er hat ja eine hohe Abfindung bekommen, 1,5 Millionen war zu lesen, und findet auch wieder einen interessanten Job, wenngleich sein Marktwert gerade etwas gesunken ist. Was mich stört, ist die Aussagekraft solchen Verhaltens, die gesellschaftliche Wirkung. Beim Fußball geht es ja nicht nur um Fußball, sondern auch um alles andere.

Eigentlich ist Fußball, wie der Zauberberg, eine große umfassende Erzählung, in der alles, was uns beschäftigt, alle gesellschaftlichen Fragen symbolisiert und besprochen werden. Bern 1954:  Ist Deutschland wieder Teil der internationalen Gemeinschaft, wenn ja in welcher Rolle? (Hui, spätestens seit Südafrika 2010 sogar als die Eleganten). WM 1974: Deutschland gegen Deutschland!

Dürfen Frauen auch? (Ja, na gut, aber erwartet nicht, dass wir ihnen ernsthaft Beachtung schenken.) Ist es endlich langsam mal normal, wenn jemand schwul ist? (Komischerweise immer noch nicht.) Können die Armen auch mal gegen die Reichen gewinnen? (Seit dieser Saison ja leider nicht mehr, woran die FDP noch scheiterte, Pep Guardiola hats geschafft.) Ist Deutschland ein Rechtsstaat? (Ja, meistens schon, aber vielen gefällt das nicht – Siehe Uli Hoeness und seine Fans). Kann ein anfangvierzigjähriger spanischer Mensch in einem halben Jahr so Deutsch sprechen lernen, dass ihn jemand versteht? (Vielleicht eher nicht, nicht mal Pep hat das geschafft.) Ist Deutschland immer noch ein Volk von fiesen, muslimhassenden RassistInnen? (Och, das kommt ganz drauf an, bei high performern und insbesondere Franck Ribéry sind wir tolerant!) Wie siehts aus bei Sex mit minderjährigen Prostituierten? (Wie eben, der lustige Franck darf.) Kann mensch auch gut durchs Leben kommen, wenn sie_er nicht die dummen Sachen macht, die alle machen, sondern sich einfach normal-vernünftig benimmt? (Überraschenderweise ja, Siehe Freiburg! Gilt aber nur für verbeamtete Lehrer.)

Naja, und wegen dieser übergeordneten Bedeutung macht mich das, was die in meiner Heimatstadt Hannover gerade veranstalten, etwas traurig. Unrealistische Ansprüche formulieren und dann jemanden demütigen, der zumindest nicht alleine daran schuld ist, wenn sie nicht eingelöst werden, und damit den Karren voraussichtlich noch tiefer in den Dreck fahren, das ist kein gutes Programm für die Zukunft.