Verpasste Wortspielchancen

Max Goldt hat mal in einer Titanic-Kolumne geschrieben, dass es eigentlich nahe liege, Texte zu ersinnen, in denen es darum gehe, dass er „ungern nach Ungarn“ fahre. Denn in seinen Ohren klinge das schön. Leider aber, so Goldt weiter, gefalle es ihm gut, nach Ungarn zu reisen und so könne es zu einer Umsetzung dieser Idee nicht kommen. (Die besagte Kolumne ist mindestens 15 Jahre alt, da war noch nicht absehbar, dass Ungarn mal von Rechtsradikalen regiert werden würde).

Genauso geht es mir jetzt gerade mit einem Wortspiel, das mir letzte Nacht einfiel. Vom Klang her bietet es sich an, die „Alternative für Deutschland“, AfD, in „Alte Naive für Deutschland“ umzutaufen. Leider nun aber wieder, funktioniert die Idee nicht. Zwar sind viele Mitglieder der Partei alt. Nur naiv sind sie meines Erachtens überhaupt nicht. Im Gegenteil, es handelt sich, vor allem beim Führungspersonal,  um abgefeimte, manipulative Menschenhasser und Menschenhasserinnen (wer Bernd Lucke mal über Lampedusa reden gehört hat, wird bestätigen, dass diese Beschimpfung nicht übertrieben ist), die genau wissen, was sie da machen. Als naiv können mit gutem Willen höchstens Teile der AfD-WählerInnenschaft qualifiziert werden. Dennoch hat es Hans-Olaf Henkel irgendwie nicht geschafft zu verhindern, dass gestern in der Taz eine Home-Story zu seiner Person mit der Überschrift Sie nannten ihn Schniedel“ veröffentlicht wurde. (Gacker!)

Onkel Maike begegnet der AfD

Am Dienstag war ich auf einem vom Kölner AStA veranstalteten Vortrag zum Thema „Homophobie in der AfD“. Es referierte Andreas Kemper, ein Soziologe aus Münster mit den Arbeitsschwerpunkten Bildungsbenachteiligung, Klassismus und Maskulismus (hier ein Link zu seinem Blog). Ich habe viel gelernt. In der AfD sind ein paar krasse Vögel unterwegs und sie wollen viele Sachen abschaffen, die ich gerne behielte. Zum Beispiel den Sozialstaat oder die sexuelle Selbstbestimmung.

Laut Andreas Kemper ist die Alternative für Deutschland keine  demokratisch gewachsene, sondern eine „von oben“, durch Kreise um Hans Olaf Henkel installierte Partei. Es vereinen sich verschiedene Strömungen und Institutionen mit teilweise konträren politischen Zielen. Hier sind zunächst Vertreter der konservativen Opposition zu Angela Merkel zu nennen, denen die CDU unter der Kanzlerin mit Maßnahmen wie der Abschaffung von Wehrpflicht und Atomkraft oder der relativ toleranten Haltung zur Lebenspartnerschaft zu weit nach links gerückt ist. Die wichtigsten Repräsentanten dieses bürgerlich-konservativen Spektrums sind die eurokritischen neoliberalen Hardliner um Hans-Olaf Henkel und Bernd Lucke.

Ein zentrales Papier in diesem Zusammenhang ist der von 240 Volkswirtschaftlern unterzeichnete „Hamburger Appell“ von 2005, den Professor Lucke zusammen mit zwei Kollegen verfasst hat. Mit Hitler- und „Mein-Kampf“-Vergleichen sollte ja sparsam umgegangen werden, aber Onkel Maike kann von nun an sagen: Ich habe es vorher gelesen und auch Ihr hattet den Link in Eurem Regal stehen. Wundert Euch also nicht, wenn der Sozialstaat auf einmal abgeschafft ist, alle muslimischen Migrationshintergründler ausgewiesen und sich homosexuelle Herren im Gefängnis wiederfinden. Lucke und seine Komplizen fordern offen, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden müssen: „Wer behauptet, Deutschland könne und müsse ein Hochlohnland bleiben, handelt unredlich oder ignorant […] Die unangenehme Wahrheit besteht deshalb darin, dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage nur durch niedrigere Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden, also durch eine verstärkte Lohnspreizung, möglich sein wird. Eine Abfederung dieser Entwicklung ist durch verlängerte Arbeitszeiten, verminderten Urlaubsanspruch oder höhere Leistungsbereitschaft möglich. […]

Aber nicht nur die Niedriglöhne müssen niedriger werden, sondern zwangsläufig auch die Sozialhilfe und ALG II: „Das deutsche System der Lohnersatzleistungen von der Sozialhilfe über das Arbeitslosengeld bis zur subventionierten Frührente erzeugt Lohnansprüche, die der Markt nicht mehr befriedigen kann.“ Die Sozialpolitik müsse folglich von Lohnersatzleistungen zu Lohnzuschüssen wechseln. Daneben gebe es noch viele weitere Möglichkeiten, Geld zu sparen, zum Beispiel im Bildungsbereich: Oft werde „übersehen, dass große Fortschritte allein durch vermehrten Ansporn zu Fleiß, Wissbegier und strenger Leistungsorientierung erzielt werden könnten“. Ich glaube schon, dass die Abschaffung der sozialen Sicherungssysteme, die Fleiß- und Konkurrenzbereitschaft der Schüler und Studierenden erhöhen wird, in China wird ja auch mehr auswendig gelernt. Und warum das alles? Es geht natürlich darum, sich im globalisierten Wettbewerb durchzusetzen. Tröstende Worte folgen am Schluss: Wenn wir uns gut angespornt haben, werden wir auch von den, in unserer öffentlichen Debatte leider häufig unterschlagenen, Vorteilen der Globalisierung profitieren: „Neben einem höheren Konsumniveau durch billigere Produkte trägt auch eine deutlich größere Produktvielfalt maßgeblich zur Steigerung unseres Lebensstandards bei.“ (Alter, wenn ich eins nicht brauche, dann, dass es im Laden noch mehr Sachen zu kaufen gibt. Das sind mir jetzt schon viel zu viele Shampoo-Sorten.) Ich verstehe jetzt besser, warum der befreundete Onkel immer so unzufrieden guckt, wenn ich äußere, dass die Euro-Analyse der AfD vom Ausgangspunkt her doch ganz okay sei.

Neben der wirtschaftspolitischen Fokussierung prägt sich in der Partei zunehmend eine fundamentalchristlich-familienpolitische Agenda aus. Eine bekannte Vertreterin entsprechender Positionen ist Beatrix von Storch,  die auf Platz vier der Liste zur Europawahl rangiert. Hier findet sich ein kritisches Portrait der FAZ. (Wenn einen die FAZ zu konservativ findet, heißt das, man ist zu konservativ). So ist die AfD ist beispielsweise in die homophoben Proteste gegen den baden-württembergischen Bildungsplan involviert. In Erklärungen des Landesverbandes NRW spricht sich die Partei mit Parolen wir „Stopp dem Genderismuswahn“ gegen das als „totalitäre Anmaßung“ begriffene Gendermainstreaming und Quoten („verfassungswidrig“) aus. So weit so unerfreulich.

Nach dem Vortrag hatte der Referent noch ein halbe Stunde für Fragen und Diskussion eingeplant. Da die Präsentation eher deskriptiv war, schien sich zunächst kein Ansatz für einen kontroversen Austausch zu bieten. Relativ schnell aber meldete sich ein junger Mann zu Wort, der sich dazu bekannte, ein AfD-Mitglied  zu sein. Oh, spannend, dachte ich, wie im Zoo, solche Personen bekomme ich ja nicht oft zu Gesicht. Im Fortgang stellte sich dann heraus, dass noch mindestens fünf weitere studentische männliche Parteimitglieder im Publikum saßen. Es entspann sich eine „Gender-Diskussion“ von niedriger Qualität. Der Referent habe zu Unrecht den Heterosexismus der AfD kritisiert, schließlich gebe es eine normative Kraft des Faktischen und die meisten Leute seien halt heterosexuell, so die jungen Herren. Das im Raum anwesende feministisch-orientierte Publikum reagierte für meinen Geschmack hilflos und unsouverän. Es sei gar nicht bewiesen, dass die Mehrheit der Menschen heterosexuell sei, lautete eine Gegenreaktion (mag sein, ist aber keine erfolgsversprechende argumentative Strategie und geht am Kern der Problematik vorbei). Was sind das nur für Leute, frage ich mich noch immer. Viel zu jung, um schon reaktionäre Arschlöcher zu sein. Dafür ist doch im Erwachsenenalter mit 30 oder spätestens 40 noch Zeit. Zutiefst verstörend fand ich auch, dass es der Partei gelingt, so viele junge Leute zu mobilisieren. Meine Hoffnung, dass es mit der AfD ähnlich schnell wieder bergab gehen möge wie mit der Piratenpartei, ist nun ein wenig getrübt.