Vorbemerkung: Dieser Text ist zwei Jahre alt. Ich habe ihn bis jetzt nicht gepostet, weil ich über eine Tote schlecht spreche (Wer sowas nicht mag, lese dies nicht). Jetzt passt er aber schön zu einem aktuellen Text von meiner Blogfreundin Tikerschek.
Heute kam die Feuerwehr
Mit einer Feuerwehrleiter stieg sie in den dritten Stock unseres Hauses, um eine Nachbarin zu bergen, die dort seit einer Woche tot in ihrer Wohnung lag.
Ein Anlass, mal etwas über einsame ältere Damen und ein gedeihliches Zusammenleben nachzudenken. Der befreundete Onkel rief mich ans Fenster (wo er sich zwecks Rauchens häufig aufhält), weil vor unserer Haustür zwei Feuerwehrautos eintrafen, (just, wo ich es schreibe, kommt die Spurensicherung von der Polizei). Zu zwei sich ebenfalls dort aufhaltenden Nachbarn rief ich herunter, ob sie wüssten, was denn los sei. Ja, die Nachbarin sei wohl tot, antworteten sie. Seit einer Woche brenne das Licht und sie reagiere nicht aufs Klingeln. Die Nachricht war nicht so überraschend, zwar war die Dame noch nicht sehr alt, aber sie tat sich bereits außerordentlich schwer, die Treppe heraufzusteigen, ich nahm immer an, sie sei herz- oder alkoholkrank oder beides.
Ich bin nun ein bisschen erschrocken, wie egal mir das ist. Hm, dachte ich mir, trauriges Leben und Sterben und ging in die Küche, um mit der Zubereitung meines Capuccinos, auf dessen Milchschaum ich mit blauer Lebensmittelfarbe Fische zeichnen wollte, fortzufahren. Während das Kaffeeprojekt scheiterte, dachte ich bei mir, Maike, Du bist eine wahrhaft kaltherzige Sau. Der befreundete Onkel kam vorbei, lobte gutmütig die missratenen Fische und regte an, die Feuerwehr zu fragen, ob sie mich nicht auch mitnehmen könne.
Ich fand, die Nachbarin war ein schrecklicher Mensch. Niemand, den ich je traf, hat mich mehr an einen Blockwart erinnert (ironischerweise war sie Französin). Der befreundete Onkel hatte stets etwas Angst vor ihr, weil sie in gutem Kontakt mit dem noch weitaus scheußlicheren Vermieter (Aber Maike, Du magst wohl niemanden, stellen aufmerksame Lesende gerade fest, ja stimmt, und ich habe deswegen gute Chancen, auch mal auf die beschriebene Art und Weise zu enden) stand und immer zu befürchten war, dass wir wegen missliebigen Verhaltens verpfiffen werden könnten.
Der Nachbar, der die Feuerwehr gerufen hatte, stand währenddessen auf der Straße, machte mit seinem Telefon ein Foto von den Feuerwehrautos sowie eine Halsabschneider-Geste, um einem weiteren aus dem Fenster gelehnten Nachbarn Hintergrundinformationen zum Geschehen zu liefern und rief dann seine Freundin an: „Ja, so sind die Nachbarn, kümmern sich nicht und schauen dann neugierig aus dem Fenster, wenn die Feuerwehr kommt.“, krähte er vorwurfsvoll und selbstgerecht in sein Handy. Ich poche vehement auf das Recht auch der garstige alte Damen vernachlässigenden Mietshausbewohnenden aus dem Fenster zu schauen, wenn die Feuerwehr kommt. Es könnte schließlich brennen. Aber der Nachbar wirft ja eine berechtigte, ernste Frage auf. Hätten wir uns mehr um die Frau kümmern sollen? (Zur Ehrenrettung des befreundeten Onkels und des unverschämten Nachbarn sei angemerkt, dass ersterer sich lange sehr wohl aufs Freundlichste bemühte und letzterer das wohl nicht weiß). Augenscheinlich lebte sie traurig vor sich hin. Eigentlich glaube ich, dass alle Menschen neugierig und gutwillig auf die Welt kommen, bereit, empathisch und liebevoll mit anderen zu sein. Dann passiert ihnen eine Menge traumatischer, verletzender, demütigender enttäuschender Erfahrungen, sie stumpfen ab, prägen eine Blockwartmentalität aus, schreiben Bücher wie „Deutschland schafft sich ab“ oder reagieren gleichgültig, wenn arme alte Nachbarinnen sterben, die sie vorher nach Kräften ignoriert haben. Naja, frage ich mich aber dann: Sind wir nicht trotz allem für unser Verhalten selber verantwortlich und müssen mit den Reaktionen darauf leben? Bestimmen wir nicht doch selber, ob wir bösartig werden oder nicht? Lebe ich nicht im 21. Jahrhundert und in der Großstadt, um mir meine sozialen Zusammenhänge und wie ich mich wann und wie engagiere, selber auszusuchen? Wie oben schon angedeutet, führt so eine Einstellung allerdings dazu, dass ich selber auch eines Tages mal von der Feuerwehr aus einer Wohnung, in der ich alleine lebe, geholt werden muss. Das habe ich dann auch nicht anders verdient und mich auch bereits ein bisschen damit abgefunden. Schon irgendwie traurig. Aber glücklicherweise dann nur für mich.