Werdet dem Geschlecht gerecht, wenn Ihr mit ihm sprecht!

In diesem Artikel sollen ein paar Überlegungen zur geschlechtergerechten bzw. gendergerechten und inklusiven Sprache angestellt werden. Offen gestanden war ich lange ein großer Fan meiner eigenen Meinung zum Thema: „Du bist eigentlich die einzige, die das Problem in seiner Komplexität so richtig erfasst hat“, lobte ich mich selbstzufrieden von Zeit zu Zeit und postete aufgeregt Kommentare unter Taz-Online-Artikel zur Debatte um das N-Wort. 

Mindestens so kluge oder auch weit klügere Ideen als die eigenen, finden sich dann aber doch allerortens: Ein befreundeter Onkel brachte die Problemlage mit „die Idee ist gut, aber, Alter, es klingt einfach doof“ gut auf den Punkt. Elaborierter und fundierter äußert sich Anatol Stefanowitsch im Sprachlog:

Gerade Sexismus ist derartig tief nicht nur im Wortschatz, sondern auch in der Grammatik des Deutschen verankert, dass fast jeder Vorschlag zu einer gerechteren Sprache kurzfristig ein mehr oder weniger problematischer Kompromiss bleiben muss…“

Die Idee ist gut…

Die meisten Leute finden das mit dem gendergerechten Sprechen sowieso albern. Zu Unrecht: Die deutsche Sprache spiegelt in ihren Worten und ihrer Struktur wider, dass Frauen unterdrückt und ungleich behandelt wurden und werden. Das sogenannte „generische Maskulinum“ ist ein Ausdruck davon. Generisches Maskulinum bedeutet das sogenannte Mitmeinen von Frauen, durch Gebrauch der männlichen Form. „Der Doktor“, „der Historiker“ können auch eine Frau sein, während – außer neuerdings in der Satzung der Uni Leipzig – „die Historikerin“ niemals einen Herren bezeichnet.  (In diesem Video wird das von Anatol Stefanowitsch so gut erklärt, dass ich es zum ersten Mal verstanden habe).

Na und, wenden jetzt einige ein, dumm gelaufen für die Frauen und die Sprache, aber das kann ja nun nicht mehr geändert werden. Und es ist schließlich auch nicht mehr notwendig – die Frauen sind jetzt rechtlich gleichgestellt, unterdrückt werden sie auch nicht mehr.

Aber das ist zu kurz gegriffen. Forschungsergebnisse belegen, dass der Gebrauch des generischen Maskulinums Ungleichheit verfestigt und Gleichstellung entgegenwirkt. Meine Lieblingsstudie ist (sinngemäß) diese hier: Der einen Gruppe wurde gesagt: Schreiben sie „20 berühmte Sänger“ auf. Die andere Gruppe wurde gebeten, „20 berühmte Sängerinnen und Sänger“ zu notieren. Das Ergebnis ist, wie erwartet, mehr Sängerinnen wurden in Gruppe zwei genannt. Insgesamt belegt die Forschung, dass wir, wenn wir in der männlichen Form sprechen, auch mehr an Männer denken. Sein und Denken beeinflusst die Sprache; aber die Sprache beeinflusst auch Denken und Sein. Außerdem sind Sprache und Denken flexibel. Ein Beispiel hierfür ist die „Kauffrau“. Als der Begriff in den 70er Jahren eingeführt werden sollte, gab es Proteste. Auch für Damen sei der „Kaufmann“ die einzig angemessene Bezeichnung. Heutzutage hat sich die Kauffrau durchgesetzt, Damen als Kaufmänner anzusprechen, käme jetzt den meisten komisch vor. So schnell kann das gehen.

Ich selber bemerke, dass meine Wahrnehmung sich verändert hat, seit ich mich berufsbedingt mit der gendergerechten Sprache auseinandergesetzt habe. Es fällt mir auf, wenn Frauen von sich in der männlichen Form sprechen und ich finde es absurd, das war früher nicht so. Ein anderes persönliches Beispiel für die Sinnhaftigkeit inklusiver Sprache sind für mich die sogenannten Menschen mit Migrationshintergrund. Früher sagte ich ganz selbstverständlich „Ausländer“. Das kann ich heute kaum glauben. Ist doch ganz klar, dass das ein völlig unklarer und außerdem negativ besetzter Begriff ist. Also weg damit und nehmen wir lieber den „Migrationshintergrund“. Menschen mit Migrations-hintergrund sind solche, bei denen zumindest ein Elternteil aus dem Ausland kommt. Oh Mist, da ist ja dieses komische Ausland schon wieder. Aber der Begriff ist offensichtlich schon menschenfreundlicher und inklusiver. Es ist zum Beispiel unwichtig, was für einen Pass die Person hat. Es geht nur darum, dass sie, oder Vorfahren von weiter her kommen. Auch ist der Migrationshintergrund nur eine Eigenschaft unter vielen. Aber auch dieser Begriff hat Schwächen – Es geht ja immer noch darum, dass die Leute, oder ihre Eltern migriert sind, also mal eine Landesgrenze überschritten haben – und Landesgrenzen sind ja zufällige, willkürliche Setzungen. Es sollte also nicht dazu führen, dass bestimmten Leuten bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Sind sich nicht vielleicht eine bayerische und eine österreichische oder eine freiburgische und eine elsässische Person kulturell näher, obwohl zwischen denen eine Grenze ist, als eine bayerische und eine nordfriesische Person? Ich selber kann ein Lied von innerdeutschem cultural clash singen: Der oben schon erwähnte befreundete Onkel wirft mir zumindest häufig meinen niedersächsisch-protestantischen Migrationshintergrund und mangelnde Integration ins schöne Köln vor.

Ich schreibe das alles nur auf, um zu illustrieren, dass mir in der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Migration, dem Versuch angemessener und genauer zu sprechen, deutlich wurde, dass das gar nicht so einfach ist. Im bewussten Gebrauch des Wortes „Migrationshintergrund“ wurde klar, dass auch dieser Begriff ungenau und unangemessen ist. Gleichzeitig ist der Versuch, bewusst gerechter zu sprechen, der einzig richtige, auch wenn niemals ein ideales Ergebnis, eine genau zutreffende und abschließend gerechte Bezeichnung gefunden werden kann. Der selbe Prozess setzt sich in Gang, wenn ich versuche, geschlechtliche Identitäten angemessen anzusprechen.

(Fortsetzung folgt)

 

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