SPD-Gedöns

Mein Verhältnis zur SPD und zu der Frage, ob sich überhaupt mit ihr auseinandergesetzt sollte, ist ambivalent: Korrupter Verräter*innenhaufen (aber es gibt doch viele Einzelmitglieder mit dem Herz am richtigen Flecken, hach), sowieso alles ein bürgerlich-neoliberaler Einheitsbrei, alles eine Inszenierung, wenn ich darüber spreche als sei es real, mache ich mich nur zur Mittäterin (aber hach, jetzt guck ich doch mal den ganzen Tag lang Sonderparteitag, wo mir dann bei Andrea Nahles‘ Rede fast übel wird, so fies finde ich die, aber es sind ja nicht alle so wie Andrea Nahles, und die ist ja auch nur so geworden, wegen dem System.). Und so dreht es sich im Kreis.

Einerseits ist das alles ein würdeloses Spektakel, tatsächlich geeignet, die Politikverdrossenheit noch zu steigern. Andererseits liegt die Katastrophe doch in den Inhalten, im erneuten Entschluss zur Groko und der Weigerung der SPD, konsequent vom neoliberalen Kurs abzukehren. Apropos: Bei allem Geschimpfe über die SPD, ich höre nur höchst selten Kritik daran, dass ihr in der letzten Legislatur Wille und Mut gefehlt haben, die noch vorhandene linke Mehrheit für die sozialdemokratische Sache nutzbar zu machen. Wir könnten Martin Schulz auch vorwerfen, dass er sich im Wahlkampf von Anfang an deutlich von der Linken distanziert hat. Dass er am Ende dieses ganzen Chaos gerne Außenminister werden wollte, und dabei irgendwie nicht mehr gepeilt hat, dass an dieser Stelle nun die Partei sagen würde, jetzt ist aber mal Schluss,  finde ich fast nachvollziehbar.

Ich glaube nicht, dass MartinSigmarOlafAndrea persönlich korrupt oder bewusst brutal rücksichtslos sind. Vielmehr scheint mir das System, die Ämter, das Politker*innenleben darauf hinzuführen, dass die darin Verstrickten einerseits den Bezug zur Realität verlieren, andererseits, damit verbunden, aber auch davon abhängig werden. Sie glauben alle daran, dass es ohne sie nicht oder zumindest nicht so gut laufen wird. Bei Angela Merkel befürchte ich sogar manchmal, dass das stimmt (ich meine nicht im Vergleich zu Che Guevara, aber eben im Vergleich zu Jens Spahn). Martin Schulz, das müssen wir ihm doch lassen, wollte ursprünglich nicht in eine Groko eintreten. Wäre es nach ihm gegangen, wäre die nicht zustandegekommen. Dann hat die Staatsraison zugeschlagen. (Inzwischen hätte ich vor Neuwahlen übrigens auch Angst, die AfD würde möglicherweise direkt zweitstärkste Partei werden und nicht erst in vier Jahren, das muss auch nicht sein).

Und dann hat Martin sich gedacht, jetzt habe ich das Europakapitel im Koalitionsvertrag so schön ausgehandelt, jetzt will ich es auch umsetzen. Keiner ist dafür  besser geeignet als ich, Sigmar kann ja nicht mal Spanisch. Egal, wie lächerlich und unbeliebt ich mich jetzt kurz mache, im Amt des Außenministers ist noch die absurdeste, vorbelasteteste Knalltüte zum beliebtesten Politiker der Republik mutiert. Und fast hätte das auch geklappt. Schulz hat, vielleicht nur ganz leicht, den Wahnsinn von Sigmar Gabriel unterschätzt. Aus diesem heraus brach, sobald der Außenministernimbus, wie eine Schutzschicht, zu schwinden drohte, einem Werwolfe gleich, der innere Grobian hervor: „Meine Tochter findet den Martin auch doof.“, ließ er die Weltöffentlichkeit wissen. (Für meinen Geschmack übrigens unterdiskutiert: die Frage, ob Gabriels Frau ihn dafür eigentlich angemessen sanktioniert hat. Rausschmiss wäre das Mindeste. Schließlich ist ja der Grund für Sigmars Wut, die er seiner Tochter in den Mund legte, die Tatsache, dass er künftig deutlich mehr Zeit für Frau und genau jene Tochter haben wird.).

Jetzt lassen alle SPD-Führungskader, die was auf sich halten, verlauten, dass die Sachfragen nun wieder in den Vordergrund treten mögen. Auch dafür sind sie sich nicht zu doof, dabei sind sie doch für alle diese Verwerfungen gemeinsam verantwortlich. Absurd, kaum zu glauben, immer neue, überraschende Volten, dramatische Schicksale: Als Bild, Metapher oder Geschichte funktioniert das gut. Politisch würde ich sagen, dass die skizzierten personellen Querelen einen Spiegel des strukturellen, inhaltlichen Bankrotts der Partei darstellen. Wenn das System, die Verhältnisse, die Menschen, die in ihm agieren, so werden lassen, dann ist im Kern etwas falsch. Naja, als hätten wir das nicht schon gewusst.

euli

Mein anderes aktuelles Stecken“pferd“ neben der SPD: Eulen. Die haben auch mehr Grazie.

 

 

10 Kommentare zu “SPD-Gedöns

    • hallo herr ackerbau, wordpress hat übrigens dein blog wieder von meiner blogroll genommen, das ist echt nicht gut kompatibel, blogsport und wordpress.
      zu deiner frage:

      1) findest du tatsächlich, dass wir davon sprechen können, dass die spd linke inhalte durchsetzt? kann man finden. ich finde das nicht. wenn ich mir so zentrale baustellen wie kinderarmut, auseinandergehen der schere von arm und reich, mietenexplosion in den städten, etc. anschaue, entwicklungen, die sich in den letzten vier jahren weiter verstärkt haben, dann kann ich nicht finden, dass die spd in der letzten groko erfolgreich linke politik umgesetzt hat.

      2) ich finde, dass du da eine form von aritmethik gebrauchst (etwas ist immer mehr als nichts, also im ergebnis ein plus), die ich nicht teile. ich glaube, dass ein weiter so, dass nicht an den kern der probleme geht (alter, erhöhung des kindergelds, da könne ich heulen, den ärmsten kindern nützt es gar nichts, die reichen kinder brauchen es nicht, so eine geldverschwendung), also, ein weiter so wird zu weiteren sozialen erosionen führen. und letztlich die afd stärken. die spd braucht meiner meinung nach eine entschlossene erneuerung, um gestärkt wieder antreten zu können. sonst werden sie in vier jahren eben drittstärkste kraft.

      • Natürlich hat die SPD in der letzten GroKo auch linke Positionen durchgesetzt. Der Mindestlohn war eher keine CDU-Idee. Wenn man eine CDU/FDP-Koalition gehabt hätte, wären die Ergebnisse an vielen Stellen deutlich anders gewesen. Aber ich verstehe ja, dass man das alles für sehr unbefriedigend halten kann, geht mir ja auch nicht anders.
        Ich gebrauche keine Arithmetik, ich möchte nur gerne wissen, wie man mit bestimmtem Vorgehen ein besseres Ergebnis erhalten will. Wenn ich das richtig verstehe, ist der Ansatz, dass man jetzt eine Erneuerung der SPD erreichen will, die dann in dreieinhalb Jahren dazu führt, dass man eine linke Mehrheit erringt, mit der man dann entschlossenere Reformen angreifen kann. Dafür nimmt man in Kauf, dass die nächsten Jahre eher ungünstiger werden, weil man ansonsten befürchtet, dass sich das linke Lager bis zur nächsten Wahl komplett zerlegt hat. Ist das der Gedankengang?

      • also mein gedankengang im groben: mir ist schon klar, dass der mindestlohn im grundsatz was sozialdemokratisches ist. wenn ich mir aber anschaue, was für einen mist die spd mitgetragen hat (alleine die europäische austeritätspolitik) oder was für einen mist sie da jetzt wieder mit ausgehandelt hat, dann ist das für mich in der gesamtbetrachtung nicht sozialdemokratisch. deine sichtweise kann ich schon trotzdem auch nachvollziehen.
        mein gedankengang ist halt nur auch, dass, zumindest besagt es die erfahrung der letzten vier jahre, oder auch das, was ich über die inhalte des koalitionsvertrages weiß, dass die „unsozialdemokratischen“ entwicklungen nicht aufgehalten werden und dass das der spd schaden und der afd weiter nützen wird. (kleines beispiel österreich, eine möglichkeit wo zulange grokos hinführen können).
        und, genau, wie du es sagst, die spd muss auf die verhandlungserfolge verzichten, um zu verhindern, dass sie in vier jahren (oder früher?), wenn es wieder zu wahlen kommt, sie sich völlig zerlegt hat. anlass zu der sorge gibt ja zum beispiel frankreich. anlass zur hoffnung, dass ein wirklich sozialdemokratisches profil die partei stärken könnte, gibt zum beispiel gb.
        dass das ein gewisses risiko birgt, sich die spd auch in der opposition nicht erneuern wird, gestehe ich zu. aber, was glaubst du denn, wie, wenn es jetzt so weitergeht, wie die letzten vier jahre (wenn sie wenigstens die bürgerversicherung herausgehandelt hätten, irgendwas wirklich strukturveränderndes), die wahlen in vier jahren ausgehen werden?

  1. Das Risiko, dass sich die SPD in der Opposition nicht erneuern würde, sehe ich zwar (schau dir mal die Bundesländer an, in denen die SPD in die Opposition gekommen ist; wie läuft die Erneuerung in NRW denn so?), mein Hauptbedenken ist aber viel mehr, dass ich alles andere als sicher bin, dass eine erneuerte SPD linke Mehrheiten erringen kann. (Und ich habe das Gefühl, dass die machen können, was sie wollen, die Nicht- oder Partei-Wähler holen die eh nicht mehr an Bord. Was müssten die denn machen, damit du sie wählst?)

    Und anders als viele halte ich einige der Punkte im KoaV für gute Erfolge: Z.B. sachgrundlose Befristung in Betrieben mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch bei max. 2,5 % der Belegschaft würde zu einer erheblichen Reduktion der sachgrundlosen Befristung führen.

    Aber was soll’s. In einem anderen Blog habe ich gelesen, dieser Koalitionsvertrag sei die Selbstzerstörung unseres Staates. Apokalyptik ist bei links und rechts gerade sehr modern.

  2. da wollte ich dir gerade freundlich zustimmen. ja, ob sich die spd in der opposition erneuert ist fraglich (für mich aber einzige chance), daher verstehe ich deine position ja. nrw-spd, tja, michael groschek ist jetzt nicht so die leuchtturm-aufbruchsfigur. ich habe letzte wahl spd gewählt (na gut, nur erststimme). bei neuwahlen wg. groko-verweigerung könnte ich mir gut vorstellen, sie zu wählen. ich würde mich als linke sozialdemokratin positionieren, da kann ich linkspartei wählen (aber sarah und oskar machen es schwer) oder spd.

    deinen ausstieg aus der diskussion finde ich nun aber leider nicht konstruktiv. den vorwurf der „apokalyptik“ finde ich unangemessen. gleichsetzungen von rechts und links mag ich auch nicht.
    da fällt mir dann doch auf, dass du es vermieden hast, meine frage zu beantworten, es würde mich wirklich interessieren: was glaubst du, wo die spd, bei eintritt in eine groko in vier jahren steht? und wo die afd?
    an welcher stelle ist es „apokalyptik“ auf entwicklungen in österreich oder frankreich zu verweisen, wo die sozialdemokratie erodiert und die rechten entweder kurz davor sind, an die macht zu kommen oder es eben schon sind?

    • Sorry, der Ausstieg sollte nicht destruktiv sein und war auch nicht auf dich gemünzt. Ich bin soweit zufrieden, weil ich deinen Gedankengang nachvollziehen kann und er eben nicht der Apokalyptik entspricht, die ich anderswo finde (und die mich maßlos aufregt). Gleichsetzung von rechts und links liegt mir fern, aber was soll man sagen, wenn – anderswo – wegen dieses Koalitionsvertrages gleich das Ende des Staates ausgerufen wird?

      Ich glaube auch nicht, dass die AFD so unbesiegbar ist. Ich gebe dir vollkommen recht, dass es sinnvoll wäre, die Entwicklungen in anderen Ländern zu untersuchen und daraus strategische Rückschlüsse zu ziehen.

      • naja, ich muss schon sagen, dass ich recht verzweifelt bin, siehe zb klimapolitik. auch habe ich das gefühl, dass die diskurse immer weiter nach rechts rücken und rassismus immer gesellschaftsfähiger wird. aber das ist tatsächlich keine gute haltung. im grundsatz kann ich deine position aber gut nachvollziehen und kann auch nicht behaupten, dass meine zu „besseren“ resultaten führt. so gesehen, danke für den konstruktiven austausch (schöne fotos aus der waschanlage übrigens 🙂

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